Erst kürzlich hatte ich sinngemäß sowas geschrieben: „Müsste ich mich für eine Tanzrichtung entscheiden, die ich nur noch unterrichten dürfte, wäre es „Jazz“.
Jazztanz in allen seinen Aspekten bietet so unglaublich viel… Von Charleston über Stepptanz bis Show- und Musicaldance, von authentic Jazz bis Modern Jazz, von Lindy Hop bis Hip Hop. Alle diese Tanzstile haben dieselben Wurzeln.
Weder das klassische Ballett, noch der Moderne zeitgenössische Tanz haben sich so sehr zusammen mit der entsprechenden Musik  entwickelt wie „Jazz“.
Was wir heute tanzen und was sich immer noch daraus entwickelt, ist ein großes wertvolles Erbe. Vielleicht trägt das Wissen darüber und das Bewusstsein dafür ein klitzekleines bisschen dazu bei, nachträglich einer Kultur Wertschätzung entgegen zu bringen, die uns so viel geschenkt hat und die trotzdem aus einer langen unrühmlichen Historie heraus unter Rassismus und Diskriminierung leiden musste…. und offenkundig auch heute noch muss.

Jazz Dance History

Lindy Hop

Ich erhebe nicht den Anspruch, hier eine wissenschaftliche umfassende Abhandlung zum Thema „Jazztanz und -musik“ zu schreiben. Und natürlich gab es Entwicklungen, die parallel verliefen und die ich hier nicht weiter beleuchte.
Auch will ich „Tanz“ nicht unnötig „verkopfen“. Das besondere an Tanz ist eben auch diese gewisse Freiheit, irgendwas Ursprüngliches, das in uns schlummert, diese andere Möglichkeit, uns auszudrücken, ohne dafür komplizierte Worte finden zu müssen.
„Tanz“ ist aber doch mehr als „Ertüchtigung zu Musik“, und ich persönlich finde es auch interessant und wertvoll, über bestimmte Hintergründe Bescheid zu wissen. Irgendwie sehe ich es auch als meine Pflicht als Tanzpädagogin, dieses „drumrum-Wissen“ zu vermitteln.
Und jaha… „verkopft“ ists beim Tanzen manchmal trotzdem. Fragt mal meine Teilnehmerinnen, wenn sie gerade dabei sind, eine neue Choreo zu verinnerlichen 😉

Die Wurzeln

Die Geschichte des Jazztanzes ist gleichzeitig auch immer eine Geschichte der Musik (….. und dieser Satz klngt jetzt wirklich ein bisschen wie aus der o.b. Werbung, darf aber trotzdem so stehen bleiben). Ihre Wurzeln hat diese Geschichte in Westafrika und Europa, und die Verschmelzung dieser Wurzeln in den USA ist die Grundlage für die Entstehung des „Jazz“.
Leider ist diese Geschichte auch immer eine Geschichte des Rassismus.

Mit Beginn der Kolonialisierung Nord- und Südamerikas durch die Spanier, Portugiesen, Briten, Franzosen und Niederländer begann bereits der Sklavenhandel von Westafrika in die amerikanischen Kolonien. Massen afrikanischer Sklaven arbeiteten seit dem 17. Jahrhundert in den Südstaaten der USA auf den Großplantagen ihrer weißen Besitzer und verhalfen diesen so zu Reichtum und damit auch politischer Macht.
Erst in den 60er Jahren des 19.Jahrhunderts wurde die Sklaverei in den USA verboten und wurden den Afroamerikaneren zumindest auf dem Papier ihre Bürgerrechte zugesprochen.
(sehr viele Informationen über die Sklaverei in den USA z.B. hier)

Cakewalk

Die afrikanischen Sklaven probierten so gut wie möglich, ihre Traditionen, ihre Musik und ihre Tänze zu bewahren So mischten sich in den Sklavenunterkünften bereits die vielen unterschedlichen Rhythmen und Bewegungen der westafrikanischen Stämme. Gleichzeitig imitierten sie die Tänze und Gebaren ihrer weißen Besitzer. Das Stolzieren mit dem Spazierstock, die affektierte Verbeugung mit dem Hut, das Balancieren des Sonnenschirms, um die weiße Haut vor der Sonne zu schützen.
Später gab es auf den Plantagen regelrechte Wettbewerbe, wer den sonntäglichen Spaziergang der weißen Plantagenbesitzer mit seinen Regeln und Etiketten am originellsten imitierte. Als Preis gab es einen Kuchen, der „Cakewalk“ war geboren. (viel mehr dazu findet ihr z.B. hier)

New Orleans

In Louisiana hatten die französischen Plantagenbesitzer eine relativ liberale Haltung ihren Sklaven gegenüber, und so war es diesen seit dem frühen 18. Jahrhundert erlaubt, sich außerhalb von New Orleans auf einem staubigen Feld zu treffen, um dort ihre Stammestänze zu zelebrieren. Jeden Samstag und Sonntag kamen sie am „Congo Square“ zusammen, „Hunderte stampfender und schlurfender Füße“, und mit der Zeit wurde dieser Platz auch für weiße Zuschauer zu einer regelrechten Touristenattraktion.
Nach dem Bürgerkrieg (1861-1865) wurde der Congo Square mit seinen Tänzen wiederbelebt. Die Schwarzen begannen nun, auch die damaligen Saiten- und Blasinstrumente zu benutzen und damit zu experimentieren. Kaum jemand hatte jemals formalen Musikunterricht erhalten. Dafür wurde umso kreativer und experimentierfreudiger auf den Instrumenten gespielt, ein ganz neuer Sound konnte entstehen.

Die weiße Bevölkerung war fasziniert von Bewegung und Rhythmus der Schwarzen, und schließlich begannen auch sie, diese Bewegungen und Schritte zu imitieren und schließlich auf ihre Art und  Weise zu tanzen.
Es war die Musik, die den Ausschlag dazu gab, dass die weißen Gesellschaftstänze plötzlich von der Tanzfläche verschwanden und Platz für ausgelassenere und rhythmische Bewegungen machten. Der Ragtime war zu Beginn des 20.  Jahrhunderts „der heiße Sc…“, und höfische Tänze und Walzer waren hierfür einfach nicht geeignet.
Es war übrigens nicht so, dass die Musik explizit zum tanzen gemacht wurde, aber…. man tanzte eben zur Musik, und so beeinflusste die Musik die Tänze, die Tänzer beeinflussten die Musiker, und so entwickelten sich beide kontinuierlich weiter.
Selbst die „Marching Bands“ hatten mit einer „second line“ immer eine Reihe Kinder am Start, die es nicht müde wurden, deren Umzüge am Straßenrand zu begleiten, die Bewegungen der Musiker nachzumachen und zu ihrer Musik zu tanzen. Schade eigentlich, dass wir diese Tradition in Kombination mit unseren sauerländer Marching Bands auf den Schützenfesten nicht haben….

Musikwanderung

Verschiedene gesellschaftliche und politische Umstände führten dazu, dass ein großer Teil der schwarzen Bevölkerung aus dem Süden nach Norden migrierte. Damit zog auch die Welle der Musiker mit ihrer Musik zunächst von New Orleans nach Chicago und strömte schließlich über Kansas City nach New York. Und ja, es hatte auch immer damit zu tun, dass die schwarze Bevölkerung ihr Glück wieder in anderen Regionen der USA suchen musste.
Auf ihrem Weg nach New York entwickelte sich die Musik und damit auch die Tänze immer weiter. Auch umgekehrt übrigens. So waren die USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts geradezu tanzverrückt, und es wurden Lieder geschrieben, die in ihren Songtexten die Tanzanleitung direkt schon mitlieferten. Naja, das macht so mancher Ballermannschlager auch, gar nicht so neu aber, dieses Prinzip…
Viele dieser Tänze waren nach Tieren benannt und fielen entsprechend wild für die damalige Zeit aus. Im authentic oder vernacular Jazz gibt es noch viele dieser Tierbewegungen.
Es war die katholische Kirche, die dem wilden Treiben auf der Tanzfläche ein wenig Einhalt gebot, indem sich Papst Pius X. gegen diese „Tiertänze“ aussprach. Teilweise fügte man sich dem und unterließ ab sofort das Zappeln der Schultern, das Schütteln der Hüften und das Heben der Ellenbogen. Der Körper wurde in seiner aufrechten Achse gehalten, die Arme wirbelten nicht mehr durch die Luft, und gleiten war das neue hüpfen. Die Tänze wurden wieder vornehm, zumindest in gewissen Kreisen. Charleston ging, Foxtrot kam. In den Gesellschaftstanzschulen adaptierte man die ausgelassenen Tänze auf die „züchtigere“ Variante herunter, während sich in Harlem zum Sound der Big Bands der Lindy Hop entwickelte-

Harlem, New York

Nördlich des Central Park wuchs Harlem in New York inzwischen zur größten schwarzen Wohngegend innerhalb einer Stadt in ganz USA. Die Mieten waren verhältnismäßig hoch. Die meisten Vermieter waren Weiße. Da auch die Arbeitslosigkeit unter der Bevölkerung Harlems sehr hoch und das Einkommen entsprechend niedrig war, veranstaltete man sogenannte „rent parties“.  Es gab Musik, denn selbst in Harlem war es gebräuchlich und bezahlbar, ein Klavier in der Wohnung zu haben. Die Hausdame kochte etwas, und man verkaufte Getränke und illegalen Alkohol. An der Tür zahlte man ein paar Cent Eintritt, und auf diese Weise verdienten die Familien ein paar Dollar, um die nächste Miete zahlen zu können. Die Parties waren rappelvoll, und es wurde getanzt.

In diesem New Yorker Stadteil entstanden Nachtclubs, Varieté Theater und Tanzsäle, das Nachtleben explodierte regelrecht. Alles war neu, aufregend, vielleicht sogar exotisch. Immer mehr Weiße zog es nach Harlem. Hier tummelten sich die Musiker, die angesagten Bands mit ihrem swingenden Sound. Harlem war „Jazz“, und Jazz war das Lebensgefühl der US-Amerikaner.
In den Shows jagte ein Showstopper den nächsten, alles blieb in Bewegung und entwickelte sich ständig weiter, schließlich wollte man in der kommenden Woche durch noch spektakulärere Tanzeinlagen, noch außergewöhnlichere Songs, noch wildere Rhythmen erneut sein Publikum begeistern. Gelang dies nicht, stand schon der nächste aufstrebende und unverbrauchte Show Act bereit.
Die meisten Künstler hier waren Schwarze, und das weiße Publikum ließ sich gerne und begeistert von ihnen unterhalten. Es war eine Zeit von „live Entertainment“, die Filmindustrie nahm gerade erst Fahrt auf.

Savoy Ballroom

In den Tanzsälen gaben sich die großen Big Bands der Zeit die Klinke in die Hand. Der größte von ihnen war seit seiner Eröffnung 1927 der Savoy Ballroom. Er erstreckte sich über einen gesamten Block, und allein die Tanzfläche war 66×17 Meter groß. Es gab zwei Bühnen für die Big Bands, die abwechselnd für die Tänzer spielten. Fletcher Henderson, Count Basie, Chick Webb, der auch zum ersten Mal eine gewisse Ella Fitzgerald als Sängerin mitbrachte, Erskine Hawkins, alle großen Jazz Bands dieser Zeit trieben die Tanzpaare an. Wenn es eine Band nicht schaffte, die Tänzerinnen und Tänzer auf der Tanzfläche zu begeistern, war dies ihr letzter Auftritt im Savoy.
Der Savoy Ballroom war zunächst ein Ort, an dem Schwarze zum tanzen zusammenkamen, aber dies änderte sich schnell. Im Savoy tanzten Schwarze und Weiße, Arme, Reiche, Jung und Alt. Man putzte sich heraus und wollte vorallem eine gute ausgelassene Zeit haben. Wer Ärger machte, wurde rausgeworfen. Dies war der erste öffentliche Ort, wo sich schwarz und weiß mischten. Anders als in den Clubs und Theatern, wo das überwiegend weiße Publikum die überwiegend schwarzen Künstler anschauen wollte.

Lindy Hop

Konntest du was auf der Tanzfläche, warst du jemand, und Herbert White nahm die besten Tänzerinnen und Tänzer unter Vertrag. Sie tourten als „Whitey´s Lindy Hoppers“ durch die Clubs und Theater. Die großen Big Bands nahmen immer einige Paare mit auf ihre Tourneen, und auch Hollywood wurde schließlich auf die Lindy Hopper aufmerksam. Eine der berühmtsten Lindy Hop Szenen stammt aus einem Film der Marx Brothers („Hellzapoppin“), guckt ihr hier

Es gab Tanzwettbewerbe, bei denen sich die die Tanzpaare Mal für Mal übertrafen, und so entwickelte sich dieser Tanz in einem Affenzahn immer weiter. Es war der Lindy Hopper Frankie Manning, der bei der Vorbereitung auf den nächsten Wettbewerb den ersten Airstep mit seiner Partnerin Frieda Washington ausprobierte. Zack, wirbelte er seine Partnerin durch die Luft und über seinen Rücken. Ab da gab es kein Halten mehr, die akrobatischen Airsteps wurden immer spektakulärer. Heute sind sie als Teil des Lindy Hop eher was für Shows und Wettbewerbe. Auf dem „social dancefloor“ geht das auch ganz ohne 😉

Lindy Hop war der Tanz der Zeit und verbreitete sich von Harlem aus über die gesamten USA. An der Westküste waren es überwiegend Weiße, die diesen Tanz tanzten, und so entwickelte sich hier ein etwas anderer Stil, der irgendwann dann eher unter dem Namen „Jitterbug“ lief (Zack, Ohrwurm, Danke „Wham!“ 😉 ) und mit komplett anderer Musik zu „West Coast Swing“ wurde.

Stepptanz

Der solo Jazztanz in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war der Stepptanz. Als ur-amerikanische Tanzform entwickelte er sich aus den Tänzen der afrikanischen, irischen und schottischen Einwanderer – und unter dem Einfluss der Jazzmusik. Musik und Tanz gehörten unweigerlich zusammen, als Stepptänzer ist man gleichzeitig Musiker. Die Betonung auf den Rhythmus in der Bewegunng ist das, was „Jazztanz“ (damals, heute, für immer) ausmacht, auch wenn er nur bei den Stepptänzern wirklich hörbar ist.
Keine Show und kaum ein Film lief ohne mindestens eine Steppnummer. Dies waren die seltenen Gelegenheiten, in denen es auch einmal schwarze Künstler auf die Leinwand schafften. In den Rollen als Butler, Fahrer oder Schuhputzer, aber sie tauchten immerhin in den Filmen auf. Die Produzenten hatten wohl erkannt, dass sie um diese Ausnahmekünstler nicht herum kamen
Bill „Bojangles“ Robinson gab den freundlichen Partner für die kleine Shirley Temple (hier ), die Nicholas Brothers….die Nicholas Brothers. Sie waren berühmt für ihre spektakulären raumgreifenden akrobatischen Choreografien. Guckt ihr hier
Für viele weiße Stars, die wir heute vielleicht eher als „Stepptanz-Ikonen“ kennen, waren insbesondere die Nicholas Brothers große Vorbilder und Inspiration. Fred Astaire bezeichnete sie irgendwann als die größten Stepptänzer aller Zeiten.

Viele „Basic“ Stepptanzkombinationen und -schritte entstanden in dieser Zeit, einige davon werden auch als „Jazz-Steps“ ohne Steppschuhe getanzt. Und ja, auch Michael Jacksons Moonwalk und viele andere Moves aus dem Hip Hop und Breakdance sind schon viel älter als man vielleicht vermutet hätte und entdeckt sie schon in den Aufnahmen von vor fast hundert Jahren.

…und wie ging es weiter?

Ebenso wie sich die Musik verändert hat, haben sich auch die Tänze verändert. Nach dem zweiten Welkrieg war die Zeit der Tanzsäle vorbei, die Big Bands waren als Tanzbands immer weniger gefragt. Wo der Savoy Ballroom stand, gibt es jetzt ein Alterheim… und immerhin seit einigen Jahren eine Gedenktafel für „the home of happy feet“. Shows schaute man nicht mehr im Theater oder Club, sondern im Fernsehen.
Aber der Grundstein war gelegt. Jazz hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer rasanten Entwicklung die Unterhaltungsindustrie der USA maßgeblich beeinflusst.
Tänzer*innen und Choreograph*innen entwickelten das was da war weiter, ließen andere ethnische Einflüsse zu, entwickelten wiederum ihren eigenen unvergleichlichen Stil und prägten dadurch die Shows am Broadway und in Hollywood.
Parallel dazu veränderte sich auch die Jugendkultur ständig.
So wie vor mehr als hundert Jahren die Kinder die Bewegungen der Marching Bands imitierten und ihre eigenen hinzufügten, tanzten sie in den 70ern auch zum neuen Sound, der aus ihren Ghettoblastern dröhnte. Auch hier maß man sich im Wettbewerb, übertraf sich in immer wieder neuen Tricks und Kombinationen, wurde von „Street-“ und „social“ Dance zu kommerziellem Tanz, der auch in Film, Fernsehen und Tanzschulen stattfand.

Heute wird gerne wieder der Bogen gespannt in die Entstehungszeit des Jazztanzes. Seit den 80er Jahren gibt es ein regelrechtes Swingtanz-Revival. Tänzer machten sich auf die Suche nach ihren tänzerischen und musikalischen Wurzeln. Es wird wieder gelindyhoppt und gesolojazzt.

Es sind viele Schritte in der Jazztanz Geschichte unbeleuchtet geblieben. Ich hoffe aber, Du hast eine kleine Idee davon, wie die damaligen Umstände dazu führen konnten, dass wir heute so tanzen wie wir tanzen…
Idealerweise vergessen wir nicht, wie diese großartige vielseitige Tanzform entstanden ist und wessen Wurzeln sie zu etwas so besonderem machen.

Schaut gerne mal in die LInks zu den Youtube Videos rein, von hier aus kommt ihr sicherlich zu unzähligen weiteren interessanten Clips 🙂

 

 

Quellen:
Frankie Manning- Ambassador of Lindy Hop
This thing called Swing
Tap!